In Indien ist etwa ein Drittel aller Frauen und fast jede zweite verheiratete Frau von häuslicher Gewalt betroffen. Eine besonders perfide Form der Gewalt ist die Zwangsheirat von jungen Mädchen. Diese ist in der Gesellschaft tief verwurzelt und von (fast) allen Bevölkerungsschichten akzeptiert. Obwohl ein Gesetz aus dem Jahr 2006 die Kinderehe verbietet, wird sie weiterhin praktiziert.

Auch im Dorf Rajegaon im indischen Distrikt Osmanabad. Dort lebt Prayas Chavan (14). Im Jahr 2020 trat sie einer Gruppe junger Mädchen aus ihrem Dorf bei, die von SWISSAID gegründet wurde, um junge Menschen über Gewalt und ihre Rechte aufzuklären. «Ich habe an vielen Versammlungen, Treffen und Fahrrad-Ralleys teilgenommen, um Praktiken wie Kinderheirat und Mitgift zu verurteilen und die Gleichberechtigung der Geschlechter zu fördern», erzählt Prayas.

Ich habe an vielen Versammlungen, Treffen und Fahrrad-Ralleys teilgenommen, um Praktiken wie Kinderheirat und Mitgift zu verurteilen und die Gleichberechtigung der Geschlechter zu fördern.

Prayas Chavan, 14 Jahre alt, Mitglied einer Mädchengruppe

Im März 2021 erscheint sie von einem Tag auf den anderen nicht mehr an den Treffen. Ihr drohte das gleiche Schicksal wie so vielen anderen Mädchen: «Als ich meine erste Periode bekam, beschlossen meine Eltern, mich zu verheiraten. Schnell wurde die Verlobung geschlossen. Ich versuchte meine Eltern davon zu überzeugen, die Hochzeit abzusagen, aber ohne Erfolg», erzählt Prayas. Sie wusste wegen der Mädchengruppe, was eine Kinderheirat bedeutet: nämlich ein Leben in Abhängigkeit, oft ohne Rechte und ohne Bildung. Denn wer in Indien verheiratet ist, darf nicht mehr zur Schule. «Das war für mich unvorstellbar!», sagt Prayas.

Im Zimmer eingesperrt

Doch ihre Eltern bestanden auf die Heirat. Sie waren beide angestellte Landarbeitende und sehr arm. Da bereits die ältere Schwester von zu Hause weggelaufen war, um einen jungen Mann aus einer anderen Kaste zu heiraten, hatten sie Angst, Praya würde dasselbe tun – und der Familienehre noch mehr schaden. «Deshalb wurde ich bis zur Hochzeit im April zu Hause eingesperrt und durfte das Zimmer nicht mehr verlassen», sagt Prayas. Da die 13-Jährige nicht mehr zu den Treffen erschien, machten sich die anderen Mädchen Sorgen.

Als sie sich erkundigten, erfuhren sie, dass Prayas’ Eltern ihre Ehe mit einem 28-jährigen Mann arrangiert hatten. Daraufhin wandten sie sich an die örtliche Leiterin der Partnerorganisation des Projekts Halo Medical Foundation (HMF). Als diese von Prayas’ Heirat erfuhr, kontaktierte sie den Regierungsbeamten, der für das Verbot von Kinderehen zuständig ist, und erstattete Anzeige. Der Beamte erstellte ein Rechtsgutachten zuhanden des Dorfvorstehers und des Dorfentwicklungsbeamten und forderte sie auf, die Eheschliessung zu verhindern. Diese sind gesetzlich dazu verpflichtet einzugreifen und begaben sich – in Begleitung des HMF-Personals – unverzüglich zum Haus der Eltern. Die anschliessende Diskussion war turbulent, führte aber schliesslich dazu, dass die Heirat abgesagt wurde.

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Glücklich in der Schule

«Nach vielen Gesprächen waren meine Eltern schliesslich damit einverstanden, dass ich in die Schule zurückkehren und wieder an den Projektaktivitäten teilnehmen konnte. Heute bin ich glücklich, dass ich wieder zur Schule gehen kann. Ich komme jetzt bald in die achte Klasse!» Prayas ist eines von 69 Kindern, die seit Beginn des Projekts der Zwangsheirat entkommen sind. Die lokalen Aufsichtspersonen und Betreuenden begleiten die Familien der Kinder, um sicherzustellen, dass sie nicht wieder versuchen, ihre Kinder heimlich zu verheiraten.

In den Mädchengruppen wird das Bewusstsein für das Gesetz gegen Kinderheirat, das nur 16 Prozent der Frauen kennen, geschärft. Das trägt dazu bei, Informationen zu verbreiten und eine wachsende Zahl von Jugendlichen auf die negativen Auswirkungen der Kinderheirat aufmerksam zu machen. So können indische Mädchen ihre Jugend in Freiheit leben und ihre Zukunft selbst bestimmen.

Video des Projekts

Interview mit Sneha Giridhari

Sneha

Sneha Giridhari, ProjektleiterinTowards Gender Equality, SWISSAID Indien.

 

Was sind die Schwerpunkte des Projekts?

Der wichtigste Aspekt des Projekts ist die Prävention von häuslicher Gewalt. Wir arbeiten mit Jungen und Mädchen und ermutigen sie, die Geschlechterdiskriminierung, aus der die Gewalt entsteht, zu hinterfragen.

Was sind Ihre Eindrücke vor Ort?

Wenn ich die Projektdörfer besuche, treffe ich junge Mädchen, die sich vehement gegen ihre Kinderheirat gewehrt haben, und junge Männer, die stolz erklären, dass sie trotz des Drucks ihrer Eltern ohne Mitgift geheiratet haben. Das gibt mir Mut und die Zuversicht, dass sich das Projekt in die richtige Richtung entwickelt.

Arbeiten Sie ausschliesslich mit jungen Menschen zusammen?

Nein, wir unterstützen auch gewaltbetroffene Frauen. Und wir bieten Workshops für Männer an, in welchen wir auf verkrustete Rollenbilder aufmerksam machen. Wir bei SWISSAID beziehen die Männer immer in die Arbeit mit ein. Denn nur so können nachhaltige Veränderungen geschaffen werden.