Zu Beginn des Webinars steckte Moderatorin Andrea Kucera den thematischen Rahmen des Webinars ab: Viele Menschen im Süden leiden unter Hunger und Mangelernährung. Lokale Märkte sind für sie essenziell. Sie werden jedoch zunehmend durch den Grosshandel und billige Importprodukte bedroht. Ziel des Webinars war, diese Problematik zu beleuchten und Lösungen hin zu Agroökologie und neuen Strukturen für gerechteren Zugang zu Lebensmitteln zu erörtern.

Aufzeichnung des Webinars

Der Blick vom Land

Als erste Referentin sprach Diamnda Merci Memhodjim, Programmverantwortliche für SWISSAID im Tschad, über die Situation der Bäuerinnen und Bauern auf dem Land. Die meisten Menschen leben dort von der Landwirtschaft. Für Einkünfte sind diese auf Märkte angewiesen, müssen also für sich und für den Verkauf produzieren. Doch die Transportwege sind oftmals zu teuer. Auch hat die Covid-19-Pandemie die Situation verschärft. Dazu kommen schwierige klimatischen Bedingungen, Konkurrenz der Grosshändler und Korruption.

Frau Memhodjim beleuchtete besonders die tragende Rolle der Frauen für das Leben auf dem Land. Diese müssen sich neben der Hausarbeit auch um die Arbeit auf dem Feld, um den Verkauf, sowie um die Bildung und Gesundheit der Kinder kümmern. Für ihre Arbeit erhalten sie aber nicht die nötigen Mittel, wenig Entlohnung und Anerkennung. Der Landbesitz ist ihnen verwehrt, was sie von ihren Männern abhängig macht.

Memhodjim verlangte daher, Bäuerinnen und Bauern sollten für eine nachhaltige, für sie profitable Landwirtschaft staatliche Förderung erhalten. Alle Männer und Frauen sollten gleichermassen Zugang zu Wissen, Ressourcen, Produktionsfaktoren wie Gerätschaften und zu Märkten erhalten. SWISSAID unterstützt die Bauern und Bäuerinnen mit Fachwissen rund um Agroökologie für nachhaltigen, effizienten Anbau und setzt sich für die Gleichstellung der Frauen ein.

Der Blick der Wissenschaft

Im Anschluss ging Mathias Binswanger, Professor für Volkswirtschaft an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW), genauer auf die exportorientierte Landwirtschaft in Entwicklungsländern ein. Für ihn ist die Aussage, dass es für Entwicklungsländer positiv sei, ihre Produkte zu exportieren, ein Mythos. Vielmehr seien mit hiesigen Zöllen Produkte aus Entwicklungsländern im Nachteil.

Mit dem Ziel, Gewinne zu erzielen, stellen viele Bäuerinnen und Bauern im Süden ihre Produktion um: Sie reduzieren den Anbau für die Eigenversorgung und produzieren stattdessen vermehrt einzelne Nutzpflanzen im grossen Stil, die sie dann verkaufen. Ihr Erlös daraus hängt jedoch stark vom Preis auf dem Weltmarkt ab. Das grosse Geld verdienen dann diejenigen, welche ihre Produkte verarbeiten, nicht die Bäuerinnen und Bauern selbst. Zudem sind die lokalen Bäuerinnen und Bauern im Süden für den Anbau ihrer Nutzpflanzen auf Importe von Saatgut, Düngemitteln und Schädlingsbekämpfung angewiesen.

Durch diese Dynamik seien im Süden Importe in den vergangenen Jahren stärker gestiegen als Exporte. Mit wenigen Ausnahmen wie der Elfenbeinküste, welche vom Kakao-Export profitiert, hat diese Umstellung negative Auswirkungen für die lokalen Bäuerinnen und Bauern.

Was getan werden muss

Als letzter Referent verdeutlichte Dino J. Martins, geschäftsführender Direktor der Mpala Research Centres in Kenya, den Konflikt zwischen alten und neuen Lebensweisen der Bäuerinnen und Bauern im Süden. Er ging dabei auch auf die Gefahren von Cashcrops für die Biodiversität ein. Dabei handelt es sich um den Anbau von einzelnen Kulturen, die für den Verkauf gedacht sind. In einem zweiten Schritt zeigte er Lösungsansätze für das Problem auf.

Martins plädierte zugunsten der Biodiversität für inklusiven Anbau und für staatliche Unterstützung. Doch der Staat schreibt Cashcrops vor. Einige Bauern und Bäuerinnen versuchen jedoch illegal ihren Anbau divers zu gestalten. Sie bräuchten mehr Unterstützung, um das Machtgefüge zu ändern, ihre Nahrungssysteme zu wahren. Dazu sollten sie eine Plattform erhalten, in der sie angehört, in Entscheide involviert und gefördert werden könnten. Um weniger von Händlern abhängig zu sein, sollten die lokalen Bäuerinnen und Bauern laut Binswanger direkt – ohne Zwischenhändler – in der Stadt auf Märkten verkaufen können. Dazu braucht es Mindestpreise für Güter, welche die Bäuerinnen und Bauern verkaufen. Sie sollen für ihre Arbeit und Ware besser entlohnt werden, so Binswanger.

Fokus Transportwege und Dialog

In der Diskussion wurden Möglichkeiten diskutiert, wie den Bäuerinnen und Bauern bei der Vermarktung ihrer Produkte geholfen werden kann. Dabei kam die Idee auf, dass Händler helfen könnten, die Waren der Bäuerinnen und Bauern in die Stadt zu transportieren. Dazu fehlt den meisten Bäuerinnen und Bauern jedoch das Geld. Auch die Gemeinden könnten derartige Hilfsaktionen nicht finanzieren. Ausserdem seien die Transportwege in die Stadt oftmals lang und beschwerlich.

Wichtiges Thema in der Diskussion war auch die mangelnde staatliche Hilfe an die Bäuerinnen und Bauern. Wie deutlich wurde, herrscht zwischen dem Staat und den Bäuerinnen und Bauern ein Machtungleichgewicht. Wie Binswanger erklärte, hat die nachfragende Seite, also der Staat, das Sagen, was dazu führt, dass in der Landwirtschaft die Margen erodieren. Die Bäuerinnen und Bauern sind unterrepräsentiert, ihre Stimme fällt bei Entscheidungen zu Anbau und Marktpreis nicht ins Gewicht. Wie Memhodjim und Martins bekräftigten, müssten Bäuerinnen und Bauern besser repräsentiert werden. Es braucht mehr Kommunikation mit den Akteuren in Handel und Politik. Um dies zu erreichen und die Machtverhältnisse auszugleichen – darüber waren sich unsere Gäste einig – bräuchten Bäuerinnen und Bauern eine Plattform, wo sie mit Vertretenden aus Politik und Handel ebenbürtig diskutieren könnten.

Mit Blick auf den Welternährungsgipfel in New York vom 23. September 2021 realisiert SWISSAID zusammen mit Bäuerinnen aus verschiedenen Ländern – vorwiegend aus dem Süden – einen Bericht. Darin erzählen die Bäuerinnen von ihrer Lebens- und Arbeitssituation, ihren Schwierigkeiten beim Anbau, ihren Zielen und wie sie diese erreichen möchten.