Die Coronapandemie hat zu einer Rückbesinnung auf eine Ernährung mit regionalen Produkten geführt. Bio-Gemüse und -Früchte sind so gefragt wie noch nie. Demnach geht es in der Schweiz aufwärts mit der Saatgutvielfalt?

François Meienberg: Ja und nein. Bei der Erhaltung der alten Sorten sind wir gut im Rennen: Pro Specie Rara betreut über 4700 Sorten. Doch das allein genügt nicht. Die Vielfalt muss auf die Felder und von dort auf die Teller. In den privaten Pflanzgärten hat sich viel getan, aber auf den Feldern der Landwirte braucht es mehr Biodiversität.

Weltweit liefern nur noch 15 Pflanzen- und 8 Tierarten die Grundlage unserer Ernährung. Wieso ist die Biodiversität so wichtig?

Ziel ist es, die Vielfalt auf den Feldern und in unserer Ernährung zu steigern sowie den Genpool zu erhalten, damit die Landwirtschaft besser gegen die Folgen des Klimawandels gewappnet ist. Je mehr Sortenvielfalt und entsprechend Biodiversität wir haben, desto besser können wir auf den Klimawandel mit widerstandsfähigen Sorten reagieren. Nur so haben wir eine Chance, dass der Ernteertrag auch bei Klimaveränderungen konstant bleibt, weil wir eine Auswahl an Sorten mit unterschiedlichen Eigenschaften haben und sie an ein verändertes Klima anpassen können.

Im Globalen Süden ist es strafbar, Saatgut zu vermehren, weiterzugeben und zu verkaufen. In der Schweiz offenbar nicht. Weshalb engagiert sich PSR politisch, wenn alles gut ist?

Auch in der Schweiz gibt es Restriktionen: So darf nur Saatgut mit einem Pflanzenpass an kommerziell operierende Abnehmer verkauft werden. Für den Verkauf an Landwirte müssen die Sorten auch registriert sein. Bei unseren 4700 Sorten ist dies nur bei einem Bruchteil der Fall. Die politischen Rahmenbedingungen müssen so ausgestaltet sein, dass die Artenvielfalt nicht durch Verordnungen im Keim erstickt wird.

Was für Rahmenbedingungen wären das?

In den vergangen 70 Jahren wurden Gesetze erlassen, die sich an den Bedürfnissen des sogenannt formellen Saatgutsystems orientieren. Damit sind von professionellen Züchtern dominierte Saatgutsysteme gemeint, wie sie in der Schweiz und in vielen Industrieländern vorherrschen. Die bäuerlichen Systeme im Globalen Süden, bei denen die Bauern und Bäuerinnen 80 Prozent ihres eigenen Saatgutes selbst produzieren, kommen bei der aktuellen Gesetzgebung unter die Räder.

Und auch die nachhaltige Nutzung der Sortenvielfalt im Norden ist in Bedrängnis. Dabei wird übersehen, dass der grosse Teil der heute bestehenden Vielfalt aus den bäuerlichen Saatgutsystemen kommt. Deshalb braucht es dringend ein Umdenken und Gesetze, die gute Bedingungen für Innovationen im bäuerlichen und informellen Saatgutsystem schaffen. Die aktuelle Gesetzgebung mit Patenten, Sortenschutz und Saatgutverordnungen bringt die Vielfalt in Bedrängnis.

François Meienberg, Projektleiter Politik bei Pro Specie Rara.