Die Kleinbäuerinnen dieser Welt leisten einen riesigen Beitrag für die Ernährungssicherheit: Sie produzieren die Nahrungsmittel für mehr als 70 Prozent der Weltbevölkerung und benötigen dafür weniger als 25 Prozent der landwirtschaftlichen Ressourcen wie etwa Land, Wasser und fossile Brennstoffe. Damit sind sie um ein Vielfaches effizienter und umweltschonender als die industrielle Nahrungsmittelkette, die 75 Prozent der weltweiten landwirtschaftlichen Ressourcen verbraucht, um 30 Prozent der Weltbevölkerung zu ernähren. Dies zeigt eine Studie der NGO ETC Group.

Für ihre lebenswichtige Arbeit auf den Feldern brauchen die Bäuerinnen und Bauern Saatgut. Über Jahrtausende wurde eine unglaubliche Sortenvielfalt geschaffen, die Ernährungssicherheit, Gesundheit und dauerhafte Anpassungsfähigkeit in Zeiten des Klimawandels gewährleistet. Jedoch sind in den vergangenen 100 Jahren über 75 Prozent aller Sorten verloren gegangen.

Ein mächtiges Monopol

Mit bilateralen Handelsabkommen und nationalen Gesetzen werden die Bäuerinnen im Globalen Süden unter Druck gesetzt. Vielerorts dürfen sie nur zertifiziertes Saatgut von internationalen Konzernen wie Corteva, Syngenta und Bayer verwenden. Wenn sie ihr eigenes Saatgut säen, werden sie teilweise strafrechtlich verfolgt. In Kolumbien wurde im Rahmen eines restriktiven «Monsanto-Gesetzes» bäuerliches Saatgut konfisziert und verbrannt, wie uns die Saatguthüterin und Bäuerin Maricela Gironza aus Cauca erzählt. Das Monsanto-Gesetz wurde in der Zwischenzeit eingefroren, aber die rechtliche Lage bleibt unklar.

Dazu kommt: Das Saatgut der Grosskonzerne ist um ein Vielfaches teurer als das lokale Saatgut. Und ohne kostspielige Pestizide und Dünger erzielt das industriell hergestellte Saatgut keine gute Ernte. Es ist weniger resistent gegen Schädlinge und Pilze und weniger angepasst an die klimatischen Bedingungen.

Interview mit einer Saatguthüterin

SWISSAID setzt in ihrer Arbeit in den Ländern seit Jahrzehnten auf folgende Lösungen: lokale landwirtschaftliche Produktionsketten fördern, das Wissen der Bäuerinnen und Bauern, insbesondere über Saatgut, aufwerten und die Agrarökologie implementieren. Wie das genau funktioniert, erzählt Maricela Gironza, Saatguthüterin aus Cauca in Kolumbien.

Sie sind Saatguthüterin in Kolumbien. Was sind Ihre Aufgaben?

Maricela Gironza: Wir Saatguthüterinnen bewahren, produzieren, lagern und verkaufen oder tauschen Qualitätssaatgut. Ich kenne mich damit aus, weil ich selbst Bäuerin bin – und bereits meine Eltern und Grosseltern von der Landwirtschaft lebten. Ich möchte das uralte Wissen rund um alte Sorten bewahren und weitergeben. Dabei unterstützt mich SWISSAID. Sie ermöglicht uns Schulungen zur Qualitätssicherung sowie ein Netzwerk, in dem wir unser Wissen und unsere Erfahrungen mit anderen Saatguthüterinnen austauschen, sogar weltweit.

Hatte die Coronapandemie Auswirkungen auf die Saatgutbanken?

Erstaunlicherweise spielte uns die Krise in die Hand. Die Menschen wollten ihre eigenen Lebensmittel anbauen. Wir hatten noch nie so viele Anfragen für Saatgut wie 2020! Obwohl wir zu Hause eingesperrt waren, gelang es uns, Saatgut zu produzieren, es im ganzen Land zu verteilen und somit unseren Beitrag im Kampf gegen den Hunger zu leisten.

Wir ernähren mit unseren Saatgutbanken viele Familien zu sehr niedrigen Produktionskosten.

Die Kolumbianerin Maricela Gironza (Mitte) ist seit 2012 Saatguthüterin und bewahrt nicht nur alte einheimische Sorten auf, sondern auch das Wissen, dass damit einhergeht.

Gibt es heute in Kolumbien also wieder eine grössere Sortenvielfalt als noch vor ein paar Jahren?

Wir konnten den Verlust stoppen, aber zur Zeit meiner Grosseltern war die Versorgung mit Saatgut viel diverser. Meine Mutter konnte wilde Quinoa einfach in der Umgebung pflücken und damit Suppe kochen. Ich habe Quinoa erst Jahre später in Peru und Bolivien kennengelernt und nach Kolumbien zurückgebracht. Wir müssen diese Vielfalt an Saatgut wieder in unsere Kochtöpfe einfliessen lassen. Für unsere Grosseltern war Mais viel wichtiger als Reis. Heute gehört Reis zur Grundlage der Ernährung und es ist schwierig, das wieder zu ändern.

Welche Vorteile hat bäuerliches Saatgut gegenüber dem von Grosskonzernen?

Das Saatgut unserer Vorfahren ist vielfältig. Es hat viele Nährstoffe, ist anpassungsfähig, resistent gegen Schädlinge und Krankheiten und widerstandsfähig gegen klimatische Veränderungen. Wir haben Maissorten, die der Trockenheit oder den kalten Temperaturen trotzen, oder Tomaten und Bohnen, die trotz zu viel Regen guten Ertrag geben. Doch das Wichtigste: Es stillt den Hunger. Wir ernähren mit unseren Saatgutbanken viele Familien zu sehr niedrigen Produktionskosten.