In Myanmar spielt sich derzeit eine humanitäre Tragödie ab, die von der Weltöffentlichkeit weitgehend ignoriert wird. In dem bereits durch die Corona-Pandemie geschwächten Land putschte sich 2021 das Militär an die Macht, was zu Demonstrationen im ganzen Land und zu bewaffneten Auseinandersetzungen führte. Seitdem ist die Wirtschaft dramatisch eingebrochen und ein grosser Teil der Bevölkerung ist in absolute Armut geraten. Mehr als eine Million Menschen mussten aus ihren Dörfern und Städten fliehen und suchen als Binnenflüchtlinge in anderen Teilen des Landes Zuflucht.
Vor diesem Hintergrund haben viele Nichtregierungsorganisationen das Land verlassen und die Bevölkerung in ihrer Not alleine gelassen. Zu einem Zeitpunkt, als die Menschen die Hilfe am dringendsten benötigt hätten. Daniele Polini, Programmverantwortlicher Myanmar, erläutert die Beweggründe, warum SWISSAID trotz der Krise bleibt und wie sich die Unterstützung auf die Menschen auswirkt.
Wie ist die Situation im Land?
Daniele Polini: Das Land befindet sich inmitten mehrerer politischer, wirtschaftlicher und sozialer Krisen. Auf wirtschaftlicher Ebene beeinträchtigt die Lage den Handel mit den Nachbarländern und vertreibt ansässige Unternehmen. Dies führt zu einem Rückgang des Warenangebots und erheblichen Preissteigerungen. Auf sozialer Ebene gibt es eine hohe Migration in die Nachbarländer, aber auch Binnenvertriebene innerhalb des Landes. Die Spannungen unter den über 100 ethnischen Gruppen, die in dem Land leben, brechen wieder auf.
SWISSAID ist eine der wenigen NGO, die vor Ort bleiben, warum?
Der frühere Slogan von SWISSAID lautete “Ihr mutiges Hilfswerk„. Ich finde, er passt besonders gut zu dieser Situation und beantwortet die Frage. Selbst in Krisensituationen, wenn unsere Arbeit schwierig wird, sind wir bereit, bei den Menschen zu bleiben. Wir helfen den Menschen in Not. Besonders in Zeiten wie diesen, wenn die Not noch grösser ist. Ausserdem können wir unsere Partner vor Ort nicht im Stich lassen. Sie sind angesichts der schwierigen nationalen politischen Lage auf Unterstützung von aussen angewiesen, um ihre Arbeit für die Menschen fortsetzen zu können.
Werden die SWISSAID-Projekte fortgesetzt?
Ja! Nach einer Zwangspause bei einigen Aktivitäten während der Pandemie konnten wir die Arbeit wieder aufnehmen und sie fortsetzen. Die Arbeit in den Projekten läuft gut. Wir sind im Land als offizielle NGO registriert und arbeiten mit zahlreichen lokalen Organisationen der Zivilgesellschaft zusammen, die Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit, aber auch Nothilfeaktivitäten umsetzen.
Worauf konzentriert sich die Arbeit?
In Myanmar konzentrieren wir uns hauptsächlich auf Projekte rund um Agrarökologie, Gleichberechtigung und die Stärkung der Frauen. Die Krisen haben die Vorteile der Agroökologie verdeutlicht und motivieren die Begünstigten und Partnerorganisationen. In den ländlichen Gebieten, in denen wir arbeiten, geht es den Menschen besser als in den Städten. Dank ihrer Getreide– und Gemüsefelder können sie sich trotz Lebensmittelknappheit selbst versorgen. Die Bäuerinnen und Bauern müssen ihr geringes Einkommen auch nicht für chemische Hilfsmittel und industrielles Saatgut ausgeben, deren Preise während der Krisen stark gestiegen sind.
Auch die Aktivitäten rund um die Gleichstellung von Frauen und Männern haben wir wieder aufgenommen. Sie sind wichtiger denn je. Vor der Pandemie waren es überwiegend Frauen, die die Felder bewirtschafteten. Die Corona-Isolierungsmassnahmen und die anschliessenden politischen Konflikte führten dazu, dass die Männer öfters zuhause waren und damit auch die häusliche Gewalt zugenommen hat. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die Frauen weiterhin zu ermutigen, ihre Position zu behaupten und die Kontrolle über ihre Arbeit zu übernehmen. Das ist eine gute Gelegenheit, die Denkweise der Männer zu ändern. Diese werden bei der Arbeit zum Thema Gleichstellung immer miteinbezogen, insbesondere durch gezielte Aufklärung.