Verfolgt man die News, erleben wir weltweit gerade einen riesigen Backlash, wenn es um Frauen- und Minderheitenrechte geht. Ist es wirklich so schlimm?

Leider täuscht dieser Eindruck nicht. Fortschritte werden vielerorts durch eine radikal konservative Politik blockiert. In einigen Ländern sind Rückschritte bei den Rechten der Frauen offensichtlich – die Vereinigten Staaten sind nur ein Beispiel. Wir beobachten die negative Entwicklung auch in unseren Partnerländern.

Was sind dort Hauptgründe für diese Entwicklung?

Gesundheits-, Klima-, politische und humanitäre Krisen der letzten Jahre fallen insbesondere in ländlichen Gebieten mit einem Anstieg der Gewalt gegen Frauen zusammen. Dies ist auf das Zusammenwirken verschiedener Faktoren zurückzuführen: allen voran erzeugen steigende Preise Stress – und viele Haushalte beruhen auf einem ungleichen Einkommenssystem. In Haushalten, in denen das Einkommen nur von einer Person erwirtschaftet wird, führt die prekäre Lage zu mehr häuslicher Gewalt.

Die Gleichstellungsarbeit ist nicht einfacher geworden. Wie geht SWISSAID mit diesen Herausforderungen um?

Für SWISSAID bleibt die Geschlechtergerechtigkeit, also gleiche und gerechte Machtverhältnisse zwischen Menschen, ein zentrales Anliegen. Wir unterstützen in all unseren Einsatzländern Projekte und Organisationen, die sich für Gleichstellung einsetzen. In den letzten Jahren wurden viele erfolgreich Projekte initiiert und finanziert, die sich auf die Stärkung von Frauen und die Einbeziehung von Männern konzentrieren. Die positiven Erfahrungen, die in einigen Pilotländern gemacht wurden, werden auf andere Länder übertragen und angepasst. Zum Beispiel wird die intensive Sensibilisierungsarbeit gegen Gewalt an Frauen und Mädchen in Indien und Kolumbien nun auch in Niger und Ecuador angewandt.

Und auf politischer Ebene?

SWISSAID engagiert sich stark in der Unterstützung von Frauenorganisationen. Die Stärkung bestehender Frauennetzwerke ist die nachhaltigste Arbeit, die wir leisten können. Das ist zum Beispiel das Ziel unserer Projekte in Ecuador, Kolumbien und Niger, die im Rahmen eines länderübergreifenden Programms namens WAVE (Women Against Violence Engagement Programme) ins Leben gerufen wurden.

Wie wichtig ist es, Männer in die Gleichstellungsarbeit einzubeziehen?

Männer spielen eine bedeutende Rolle. Wenn die Männer verstehen, wie wichtig es ist, dass Frauen selbstständig sind, verstehen sie auch den Einfluss auf das Einkommen, die Gesellschaft und die Kindererziehung – und sind eher bereit, diese Entwicklung zu unterstützen.
In Gemeinden im Niger wird aktiv Aufklärungsarbeit geleistet: Es werden Männergruppen gebildet, die verschiedene Aspekte der Ungleichheit diskutieren, beispielsweise die Kluft zwischen der Arbeitslast von Männern und Frauen. Das Bewusstsein dafür, wie schädlich das für die gesamte Gesellschaft ist, hat viele Männer dazu motiviert, ihre Frauen bei der täglichen Arbeit zu unterstützen. Dadurch verringert sich die Arbeitsbelastung der Frauen, sie können sich anderen Aufgaben widmen, zum Beispiel die Grundsätze des Marketings lernen und ihre Produkte auf dem Markt gewinnbringend verkaufen. Das hat positive Auswirkungen auf das Selbstvertrauen der Frau und das Einkommen der gesamten Familie.

Sind alle unsere Partnerländer beim Thema Gleichstellung auf dem gleichen Stand oder gibt es Unterschiede?

Es gibt erhebliche Unterschiede, auch was die Art der Ungleichheit betrifft. Unsere Arbeit konzentriert sich auf die Bedürfnisse und Anforderungen der lokalen Bevölkerung: in Myanmar, Tschad und Guinea-Bissau geht es zum Beispiel um die wirtschaftliche Stärkung von Frauen. In Kolumbien, Ecuador und Indien liegt der Fokus eher auf der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Wir verfolgen also einen lokalen Ansatz. Jedes Projekt wird individuell an die jeweilige Situation angepasst. Vor der Umsetzung eines Projekts finden viele Gespräche mit den lokalen Partnerorganisationen und der Bevölkerung statt. Nur so können wir sicherstellen, dass unsere Arbeit die Geschlechtergerechtigkeit vor Ort nachhaltig fördert.